IIMT Fribourg,

Die Schweizer Energiebranche sieht sich zunehmend externen und internen Zwängen ausgesetzt, welche eine Transition der Branche und des Marktes erforderlich machen. Diese Zwänge lassen sich unterschiedlich kategorisieren: politische und formale Faktoren wie die Ziele der Energiestrategie 2050 oder auch gesamteuropäische Massnahmen im Energiesektor, konsumentenbezogene Faktoren wie die Herausforderung der (weiteren) Liberalisierung oder die steigende Anzahl an Prosumenten, sowie technische Faktoren wie der aktuelle Zustand des Stromnetzes oder die Eignung unterschiedlicher Energiegewinnungstechnologien im Kontext der Schweiz. Obwohl ein Transitionsprozess (TP) als notwendig erscheint, um die Energiebranche in einen Zustand zu bringen, in welchem sie den Faktoren besser begegnen und die unterschiedlichen Vorgaben und Erwartungen besser erfüllen kann, ist es bei weitem nicht klar, wie ein solcher Prozess ablaufen sollte bzw. wie der zu erwartende Endzustand aussieht. Die Forschung zeigt mögliche Szenarien auf, welche zwar Extremfälle darstellen, aber durchaus als potenzielle Zukunftsszenarien
für die Schweiz gesehen werden können: ein hoch zentralisiertes Netzwerk,
in welchem Energie über lange Distanzen transportiert wird (Super-Grid), ein «smartes» System, in welchem flexible Netzwerke, Sektorkopplung und ITLösungen ein hohes Mass an Flexibilität und Partizipation von z.T. auch branchenfremden Akteuren ermöglichen (Smart-Grid) sowie ein vollkommen dezentralisiertes Netzwerk, in welchem Energieproduktion und -konsum lokal stattfindet und eine Mehrzahl von Akteuren nicht mehr miteinander vernetzt sind (Off-Grid)). Während die letztere Variante basierend auf dem gegenwärtigen Zustand des Schweizer Energiesystems nicht als realistisch anzusehen ist, stellen sowohl Super-Grid als auch Smart-Grid mögliche Transitions- und Zukunftsszenarien dar. In beiden Fällen ist jedoch ein TP mit einigen Herausforderungen und Barrieren
verbunden.

Die Schweizer Energiebranche als soziotechnisches System (ST-System) im Kontext der Transitionsforschung setzt sich aus den Grundkomponenten Technologien und Infrastrukturen, Wissen, Akteure und Institutionen zusammen. Akteure sind in diesem Verständnis sowohl Unternehmen
als auch (End-)Nutzer, welche im Rahmen sozialer Netzwerke sowie auf
formalisierte (Verträge) und nicht-formalisierte Weise verbunden sind. Institutionen umfassen Normen, Gesetze, sonstige Regelwerke und auch nicht kodifizierte Verhaltens- und Handlungsregeln, während sich Wissen sowohl auf die Nutzung als auch auf die Weiterentwicklung der Technologien und Infrastrukturen bezieht. Abhängig vom gewählten Zukunftsszenario muss in jeder dieser Grundkomponenten ein mehr oder weniger intensiver TP stattfinden, um das System in eine Konfiguration zu bringen welche dem gewünschten Endzustand entspricht.

Für das Szenario Super-Grid wäre eine verstärkte Zentralisierung der Branche notwendig, wobei die gegenwärtige Heterogenität des Systems verringert werden müsste. Bezogen auf die Komponente Akteure wäre ein Trend entweder in Richtung von Zusammenschlüssen kleinerer Industrieakteure (Stadtwerke, kleine Energieversorger) oder in Richtung der zunehmenden Dominanz einiger weniger grosser EVUs durch Übernahmen denkbar. Auf der Seite der Endverbraucher würde die Rolle von potenziellen Prosumenten in den Hintergrund rücken; Herausforderungen wären in Form von Zentralisierungswiderständen
bzw. Forderungen nach mehr Transparenz und Flexibilität von Seiten der EVUs denkbar. Die materiellen, technologischen Komponenten des Systems müssten in Richtung einer grösseren Zentralisierung sowie des effizienten
und resilienten Transfers von Energie von grossen Kraftwerken hin zu
den Verbrauchern entwickelt werden, wobei zentralisierte Managementansätze sowie Koordination beim Netzwerkmanagement
nötig wären. Im Rahmen der Fokussierung auf wenige grosse Energieerzeuger sowie der existierenden gesetzlichen Vorgaben würde sich des Weiteren die Frage stellen, welche Arten von nachhaltiger, erneuerbarer Energieerzeugung innerhalb der geographischen und wirtschaftlichen Grenzen der Schweiz denkbar wären. Im Rahmen
dieser Diskussion müssten unter Umständen auch Fragen über eine etwaige
Weiterentwicklung der kernkraftbasieren Kapazitäten oder über die Abhängigkeit der Schweiz von Nachbarstaaten (insbesondere im Fall von transnationalen/kontinentalen Super-Grids) gestellt werden.

Für das Szenario Smart-Grid hingegen, würden die Herausforderungen in den Bereichen einer verstärkten Dezentralisierung, der Sektorkopplung an andere ST-Systeme wie zum Beispiel das Transportsystem sowie der verstärken Einbindung von Nutzern, insbesondere Prosumenten, liegen. Eine verstärkte Dezentralisierung würde sich dabei sowohl im Bereich der
Technologien und Infrastrukturen auswirken, wo unter anderem Netzwerke in Richtung von bidirektionalen Energietransfers ausgebaut werden müssten, als auch im institutionellen Bereich, wo die Schaffung von Grundlagen für eine weitere Liberalisierung des Energiemarktes sowie die Schaffung eines institutionellen Rahmens für Prosumenten zentral wären. Durch die sektorale Kopplung wäre es auch notwendig, geltende Regelungen für unterschiedliche Systeme zu koordinieren bzw. verstärkt sektorübergreifende Regelwerke zu erschaffen. Eine zentrale Herausforderung einer Smart- Grid-Transition wäre u.a. die verstärkte
Inklusion von IT-Lösungen auf institutioneller und technischer Ebene, da diese für einen erfolgreichen Betrieb dezentralisierter, Prosumenten-basierter Energienetze von zentraler Bedeutung sind.

Das iimt der Universität Freiburg, ist ein führendes Schweizer Kompetenzzentrum im Bereich Management der Technologie und bietet neben innovativer Forschung auch exzellente Weiterbildung an.

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