Für eine nachhaltige Energieversorgung wird in der Schweiz die Photovoltaik kräftig ausgebaut. Anders als herkömmliche Kraftwerke brauchen Solaranlagen für die Stromerzeugung keine Generatoren. Damit fehlen die rotierenden Massen, die in der bisherigen Stromversorgung das Netz stabilisieren. Eine Studie der ETH Zürich zeigt, wie die Problematik umgangen werden kann: mit dem «netzunterstützenden» Betrieb von Umrichtern, wie sie in Solaranlagen, aber auch in Windkraftwerken und Batteriespeichern verbaut sind.

Störungen unserer Stromversorgung sind selten. Zum Beispiel wenn ein Kraftwerk unerwartet ausfällt. Dann sinkt die Frequenz der Wechselstromversorgung unter 50 Hertz, bis andere Kraftwerke den Ausfall kompensieren. Ein Anstieg der Frequenz hingegen ist zu beobachten, wenn beispielsweise ein grosser Strombezüger vom Netz abgeschnitten wird. Dann herrscht vorübergehend eine Stromüberproduktion – und die Netzfrequenz klettert über 50 Hertz, bis die Kraftwerke ihre Produktion gedrosselt haben.

Der Einsatz von «netzunterstützende» Umrichtern bei Batteriespeichern oder in Solaranlagen und Windkraftwerken kann dazu beitragen, dass das Stromnetz auch in Zukunft bei Störungen nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Im Bild : 380 Kilovolt-Freiluftschaltanlage in Laufenburg.

Die Stromversorgung ist so ausgelegt, dass Störungen in aller Regel innert Sekunden behoben werden: Dank der automatischen Anpassung der Kraftwerksleistung (genannt Regelreserve) wird das Gleichgewicht zwischen Produktion und Bezug schnell wiederhergestellt, die Netzfrequenz kehrt zum Sollwert von 50 Hertz zurück. Zur Netzstabilität tragen hinreichend grosse Kraftwerkkapazitäten ebenso bei wie ein eng vermaschtes Netz. Eine wichtige Rolle spielt auch die Konstruktionsweise der Kraftwerke: Wasser-, Kern- oder Gaskraftwerke nutzen zur Stromerzeugung grosse Generatoren. Die rotierenden Metallelemente haben eine Schwungmasse, deren Trägheit das Stromnetz dauerhaft stabilisiert, indem sie allzu schnellen Frequenzänderungen entgegenwirkt. Darüber hinaus leisten die Wicklungen der Generatoren einen Beitrag zur Dämpfung von Frequenzschwingungen.

Wegfall von Schwungmasse gefährdet Netzstabilität
Mit dem geplanten Atomausstieg und dem Ausbau der Solarenergie wird der Anteil Generator-gestützter Kraftwerke künftig zurückgehen. Netzexperten betrachten diese Entwicklung mit Sorge, denn Solaranlagen verfügen nicht über Generatoren mit netzstabilisierender Schwungmasse. Ihnen fehlt die Fähigkeit zur passiven Schwingungsdämpfung, und sie beteiligen sich meist nicht an der von der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid und den anderen europäischen Übertragungsnetzbetreibern organisierten Bereitstellung von Regelleistung. «Wenn wir die Solarkraft ausbauen und gleichzeitig konventionelle Kraftwerke vom Netz nehmen, müssen die Umrichter einen Beitrag leisten, damit das Netz im Fall von Störungen weiterhin ins Gleichgewicht zurückfindet», sagt Dr. Alexander Fuchs, Wissenschaftler an der Forschungsstelle Energienetze der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ).

Netzleitstelle der Nationalen Netzgesellschaft Swissgrid in Aarau. Von hier aus wird das Schweizer übertragungsnetz gemanagt. Netzstabilisierende Komponenten von Kraftwerken und Batteriespeichern unterstützen den verlässlichen Betrieb des Stromnetzes.

Das ist möglich, weil moderne Umrichter in der Lage sind, rotierende Masse nachzubilden, wenn sie «netzunterstützend» betrieben werden. Das gilt für Umrichter von Solaranlagen, Batteriespeichern und Elektroauto- Ladestationen, aber auch für die Umrichter, wie sie in Windkraftanlagen eingesetzt werden, um den Strom der unterschiedlich schnell rotierenden Generatoren mit passender Frequenz ins Wechselstromnetz einspeisen zu können. Werden die Umrichter über eine geeignete Software intelligent gesteuert, leisten sie einen Beitrag zur Netzstabilität, so wie es die Generatoren von traditionellen Kraftwerken tun.

‹Netzunterstützende› Umrichter
Alexander Fuchs hat zusammen mit einem Forscherteam untersucht, wie die Netzstabilität auch bei einem starken Umbau der Energieversorgung in Richtung Solar- und Windenergie sichergestellt werden kann. Beteiligt war ein Wissenschaftler von Hitachi Energy, einem Joint Venture, das kürzlich aus der früheren Netzwerksparte von ABB hervorgegangen ist. In ihrer Untersuchung verwendeten die Forscher Computersimulationen, die das dynamische Verhalten von Stromnetzen beschreiben. Das Projekt wurde vom BFE finanziell unterstützt.

Um die Netzstabilität zu gewährleisten, müssen nicht alle neu im Stromnetz verbauten Umrichter «netzunterstützend» betrieben werden. Es genügt, wenn das bei einem Teil der Fall ist. Das Forschungsteam von ETHZ und Hitachi Energy hat in seiner Untersuchung abgeschätzt, welcher Anteil der Umrichter «netzunterstützend» betrieben werden muss, damit sich die Netzstabilität im Zuge des Umbaus des Energiesystems nicht verschlechtert. Fazit: Wird in der Schweiz Kraftwerksleistung aus Generatoren durch Photovoltaik-Anlagen ersetzt, müssten rund zehn Prozent der neuen PVAnlagen «netzunterstützend» betrieben werden, damit die Netzstabilität nicht leidet.

Die Schweizer Kernkraftwerke (drei Gigawatt Leistung) leisten über die darin verbauten Generatoren einen Beitrag zur Netzstabilität. Bei Abschaltung der Kraftwerke kann dieser Nutzen durch «netzunterstützend» betriebene Umrichter zum Beispiel in Batterien und PV-Anlagen erreicht werden.

Batterien stehen im Vordergrund
«Netzunterstützende» Umrichter haben somit ein grosses Potenzial, einen Beitrag zur Netzstabilität leisten zu können. Wie sie das in einem künftigen Energiesystem tun werden, bleibt mit der jüngsten Untersuchung offen. So ist es zwar möglich, einen Umrichter aus einer PV-Anlage «netzunterstützend» zu betreiben, allerdings ist das wenig sinnvoll, weil eine PV-Anlage das Netz nur unterstützen kann, wenn sie Strom produziert, die «netzunterstützende» Funktion aber rund um die Uhr benötigt wird. «Wir gehen davon aus, dass in der praktischen Umsetzung die Funktion der Netzunterstützung künftig hauptsächlich durch Batterien übernommen wird. Das ist aus heutiger Sicht die einzige praktikable Lösung, weil nur so die Netzunterstützung rund um die Uhr abgerufen werden kann», sagt Alexander Fuchs. «Am einfachsten wäre wohl, die Batterien für die Netzunterstützung zu ertüchtigen, die von Hausbesitzern mit PV-Anlage ohnehin eingebaut werden.»

Um den Weg zu solchen Lösungen zu ebnen, möchten die ETHZ-Wissenschaftler verschiedene Umsetzungsvarianten der
Netzunterstützung untersuchen, einschliesslich deren Integration in unterschiedliche Verteilnetztypen (beispielsweise städtische Netze, ländliche Netze, industrielle Netze). An den Mehrkosten sollten die neuen Lösungen kaum scheitern, vermuten die Wissenschaftler: «Werden Umrichter der neusten Generation eingesetzt, ist im Prinzip nur ein Software-Update nötig, um diese «netzunterstützend» betreiben zu können.»

Wenn in der europaweiten Stromversorgung – im Bild eine Freileitung zwischen Gösgen und Laufenburg – drei Gigawatt Produktionsleistung ausfallen, sinkt die Frequenz im Netz um 0.2 Hertz.

Rund zehn Prozent der Umrichter müssen «netzunterstützend» sein
Das Forschungsteam aus ETHZ und Hitachi Energy hat am Beispiel des europäischen Übertragungsnetzes durchgerechnet, welche Folgen es hat, wenn der Strom nicht mit herkömmlichen Generatoren in Kohle-, Gas-, Kern- oder Wasserkraftwerken produziert wird, sondern in Solar- und Windkraftwerken unter Einsatz von Umrichtern. Sie nutzten ein vereinfachtes Modell des europäischen Verbandes der Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E). In diesem Modell besteht die europäische Stromversorgung aus circa 1 000 über den Kontinent hinweg verteilten Generatoren (120 Gigawatt Leistung), die 12’000 Verteilnetze und andere grosse Verbraucher versorgen.

Das Forschungsteam betrachtete einen Störfall, der sich im Jahr 2006 tatsächlich ereignet hat. Damals zerfiel das kontinentale Stromnetz in drei Teile mit unterschiedlichen Frequenzen: West- und Nordeuropa (rot, grün) sowie die Länder Osteuropas (blau). Aufgrund des resultierenden Ungleichgewichts zwischen Produktion und Bezug kam es zu markanten Abweichungen von der Sollfrequenz (50 Hertz): In der Simulation erreichte die Frequenzspitze in Westeuropa knapp 50.4 Hertz (hoher Stromüberschuss), in Nordeuropa knapp 50.1 Hertz (geringer Stromüberschuss), während sie in Osteuropa auf ca. 49.85 Hertz sank (Strommangel) (vergleiche Grafik). Der stabilisierenden Funktion der 1 000 Generatoren war es zu verdanken, dass die Frequenzabweichungen nicht noch deutlich höher waren und es zu einem Black-out kam.

Die ETHZ-Forscher wollten nun wissen, was in dem Szenario geschehen wäre, wenn damals 30 beziehungsweise sogar 60 Prozent der Generatoren gefehlt hätten (weil die Kraftwerke im Zuge der Energiewende durch Solar- und Windkraftwerke ersetzt wurden). Die Grafik zeigt, dass in diesem Fall zum Beispiel in Westeuropa die Netzfrequenz auf gegen 50.6 Hertz (30 Prozent weniger Generatoren) beziehungsweise sogar über 51 Hertz (60 Prozent weniger Generatoren) hochgeschnellt wäre. Um diesem massiven Netzungleichgewicht entgegenzuwirken, rüsteten die Forscher in der Simulation einen Teil der Umrichter aus Solar- und Windkraftwerken mit einer «netzunterstützenden» Steuerung aus. Je mehr Umrichter «netzunterstützend» betrieben werden, desto geringer werden die Frequenzausschläge. Werden rund zehn Prozent der in Westeuropa neu installierten Umrichter von Solar- und Windanlagen «netzunterstützend» betrieben, können die Frequenzabweichungen auf jenes Mass begrenzt werden, als wären 1 000 Generatoren im Einsatz.

Mit anderen Worten: 10 Prozent «netzunterstützende» Umrichter reichen aus, um die Netzstabilität so gut zu gewährleisten, wie es bisher die Generatoren herkömmlicher Kraftwerke getan haben. Die Beobachtung aus der Region Westeuropa gilt ähnlich für Nord- und Osteuropa, oder auch bei einer Variation des Stromaustauschs zwischen den Stromnetzen. Stets gewährleisten laut den Berechnungen des Forscherteams etwa 10 Prozent «netzunterstützende» Umrichter die Aufrechterhaltung des Stabilitätsniveaus wie vor Abschaltung der Kraftwerke. Überträgt man diese Erkenntnis in einem Gedankenspiel auf die Schweizer Stromversorgung, bedeutet das: Will man den Beitrag, den die Schweizer
Kernkraftwerke (drei Gigawatt Leistung) über die darin verbauten Generatoren zur Netzstabilität leisten, durch «netzunterstützende» Umrichter erreichen (beispielsweise in Batterien oder PV-Anlagen), dann müsste deren Leistung rund 300 Megawatt betragen. Das ist rund ein Zehntel der in der Schweiz aktuell (Ende 2020) installierten PV-Leistung.

HINWEIS
Weitere Informationen auf der Projekt-Webseite: www.fen.ethz.ch/activities/systemoperation/acsicon.html

Den Schlussbericht zum BFE-Forschungsprojekt «ACSICON – Novel Analysis and Control Solutions for Dynamic Security Issues in the future ENTSO-E network with high Converter-Based Generation» finden Sie unter: www.aramis.admin.ch/ Texte/?ProjectID=41465

Auskünfte zum Projekt erteilt Dr. Michael Moser (michael.moser@bfe.admin.ch), Leiter des BFE-Forschungsprogramms Netze.

Weitere Fachbeiträge über Forschungs-, Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte im Bereich Elektrizität finden Sie unter www.bfe.admin.ch/ec-strom.