Herrliberg.

In Herrliberg ist eine einzigartige Fernwärmeversorgung entstanden: Auf Basis zweier Netze werden Gemeinde- und private Liegenschaften mit umweltfreundlicher Wärme und Kälte versorgt. Die Nutzung von Abwärme und dadurch entstehender Synergien bringt eine Steigerung der Effizienz um mehr als 25 %.

Ab Januar 2019 liefen in der Gemeinde Herrliberg die Bauarbeiten. An verschiedenen Orten im Quartier rund um das Schulhaus Rebacker sowie im Dorf wurde an einer Infrastruktur gebaut, mit der ab dem 1. Dezember 2019 die ersten Liegenschaften mit Fernwärme und Kälte versorgt werden konnten. Nach dem Zuschlag auf Basis einer öffentlichen Ausschreibung
hat ewz in enger Zusammenarbeit mit der Gemeinde die Planung, Finanzierung und Realisierung des neuen Wärmeverbunds übernommen und ist auch für dessen Betrieb über mehrere Jahrzehnte verantwortlich.

Einzigartiges Konzept mit zwei Wärmenetzen
«Das Konzept, zwei Netze zu realisieren – eines für Hochtemperatur und eines für Niedertemperatur – war bereits Teil des Projektes, als wir von ewz ins Spiel kamen», erzählt David Füllemann, Projektleiter bei ewz. Ausgehend von dieser Vorgabe hat ewz mit Michael Weiss, dem Leiter Liegenschaften und Landschaft der Gemeinde Herrliberg, den Wärmeverbund weiterentwickelt und forciert. Im Verlauf der Planung
stellte sich heraus, dass der ursprüngliche Standort der Heizzentrale für das Hochtemperaturnetz nicht ideal war. Nach eingehender Evaluation liess sich ein neuer Standort finden, ein paar hundert Meter vom ursprünglichen Ort entfernt. Diese Umplatzierung brachte den Vorteil, dass das ursprüngliche Versorgungsgebiet nahezu verdoppelt werden konnte, sodass
künftig mehr Haushalte in den Genuss einer umweltfreundlichen Versorgung mit Fernwärme respektive zum Teil auch mit Kälte kommen. Insbesondere auch dank der Weitsicht und dem Engagement der Gemeindeverantwortlichen konnte die innovative Anlage planmässig in Betrieb gehen.

Heizen und kühlen übers Erdreich
Herzstück des Niedertemperaturnetzes ist die Anergiezentrale bei der Schulanlage Rebacker. Als Energiequelle für die «kalte Fernwärme» mit Temperaturen zwischen 6 °C und 25 °C dient Erdwärme. Diese wird auf dem Sportplatz der Schulanlage über 45 Erdwärmesonden in einer Tiefe von 300 Metern erschlossen. Wärmepumpen in den angeschlossenen Liegenschaften heben die dem Erdreich entzogene Wärme auf das für Raumheizung und Warmwasser erforderliche Temperaturniveau an. Geheizt werden auf diese Weise Gemeindeliegenschaften neueren Datums wie etwa das Alters- und Pflegezentrum und der Neubau mit Alterswohnungen. Doch das Energienetz kann mehr als nur Heizen: «Besonderes Augenmerk galt auch dem Kühlbedarf, der künftig klar an Bedeutung gewinnen wird», erklärt David Füllemann. So lassen sich die an das Niedertemperaturnetz angeschlossenen Liegenschaften der Gemeinde im Sommer über die Erdsonden auch kühlen. Die Bewohnerinnen und Bewohner der neu gebauten Alterswohnungen sowie die Nutzerinnen und Nutzer des Kinderbetreuungshauses profitieren so das ganze Jahr über von angenehmem Raumklima.

Abgaswärme im Anergienetz nutzen
Die Wärmeproduktion für das Hochtemperaturnetz mit Temperaturen bis maximal 85° Celsius erfolgt mit einer Holzschnitzelheizung. Die Nutzung der lokalen Ressource war ebenfalls eine Vorgabe der Gemeinde. Über dieses Netz werden Liegenschaften älterer Bauart innerhalb des Versorgungsperimeters mit Wärme versorgt, etwa die Schulanlage oder die Vogtei, ein vor rund 600 Jahren erbautes Landgut, das heute unter anderem ein Restaurant, eine Trotte und ein Wohnhaus beherbergt. Die Hackschnitzel stammen vom nahen Pfannenstiel, was den Vorteil sehr kurzer Transportwege mit sich bringt. Laut Füllemann reichen im Winter die gut 180 m3 Schnitzel, die das Lager fassen kann, für zwei bis drei Wochen. Der rechtzeitige Nachschub ist mit dem Lieferanten vertraglich geregelt. Um Spitzenlasten im Winter abzudecken oder zur Notversorgung bei einem Ausfall der Holzheizung steht zudem eine Gasheizung bereit. Das Innovative dieser Anlage liegt aber nicht in der Wärmeerzeugung selber, sondern in der Art der Abwärmenutzung. Über eine Abgaskondensationsanlage wird den Abgasen der Holzfeuerung Wärme entzogen. Der Wärmeertrag der Schnitzelheizung lässt sich so laut Füllemann um etwa 25 % steigern. Gelangen ohne Kondensation Abgase mit 160° Celsius in die Umgebungsluft, wird deren Temperatur hier bis auf 20° Celsius gesenkt werden. Dies ist möglich, weil die Eintrittstemperaturen in die Abgaskondensation (ab dem Anergienetz) in einem ungewohnt tiefen Bereich von 6 bis 25° Celsius liegen. Konventionelle Abgaskondensationsanlagen können die Abgastemperaturen nur auf etwa 60° Celsius senken. Feuchtes Holz ist in der Anlage willkommen. Denn die nass angelieferten Schnitzel werden während der Verbrennung getrocknet,
wodurch viel Wasserdampf freigesetzt wird. Die mittels Kondensation gewonnene Wärme lässt sich entweder für die Regeneration der Erdsonden verwenden oder via Anergienetz direkt von den Kunden nutzen. Diese Konstellation ist über die Landesgrenzen hinaus einzigartig.

Doch was auf der einen Seite nützlich ist, schafft Herausforderungen an anderen Orten. So steigen Abgase mit hoher Temperatur aufgrund ihres Auftriebs bei der Mündung des Kamins rasch auf. Ganz anders, wenn die Temperaturen niedrig sind. Um ein Absinken der Abgase zu verhindern, muss Frischluft in den Kamin eingeblasen werden, die die Mündungsgeschwindigkeit hoch genug hält, sodass die Abgase problemlos aufsteigen. «Mit der derzeitigen Infrastruktur versorgen wir fünfzehn Liegenschaften mit CO2-neutraler Wärme über das Hochtemperaturnetz»,
hält Füllemann fest. Das System lässt sich weiter ausbauen, sodass weitere Gebäude angeschlossen werden können.

Wertvolle Synergien
Das Zusammenwirken von Hoch- und Niedertemperaturnetz ermöglicht wertvolle Synergien, die sich nicht nur aus ökologischer, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht lohnen. So kann über 800 MWh Wärme pro Jahr über die Abgaskondensation zurückgewonnen werden. Dies endspricht dem
Jahresenergiebedarf von etwa 100 Wohnungen. Für Füllemann kann die in Herrliberg realisierte Fernwärmelösung durchaus Vorbild sein für andere Wärmeverbünde. «Die Kombination von Heizen und Kühlen über zwei Netze und die Nutzung sämtlicher möglicher Synergien hat zu einer äusserst effizienten Lösung mit Leuchtturmcharakter geführt.» Rund 1 000 Tonnen CO2 können im Endausbau jährlich eingespart werden. Der Herrliberger Wärmeverbund berge durchaus das Potenzial, auch in anderen Gemeinden zur Anwendung zu kommen.

Technische Daten Wärmeverbund Herrliberg
• Wärmebedarf: 5500 MWh / a (inklusive Brauchwarmwasser)
• Kältebedarf: ca. 300 MWh / a
• Installierte Leistung Wärmeerzeuger im Endausbau: 700 kW und 240 kW
Holz, 1 600 kW Gas
• Leistungen Abgaskondensation: 190 kW (Holz) und 160 kW (Gas)
• Gesamtleistungen der versorgten Liegenschaften im Endausbau: 1 780 kW (Hochtemperatur) und 540 kW (Niedertemperatur)
• CO2-Reduktion: 1 000 Tonnen pro Jahr
• Einsparung fossile Brennstoffe: 4 900 MWh (im Vergleich Wärmeerzeugung mit Erdgas)
• Inbetriebnahme: 2019 / 2020

Weitere Informationen zum Wärmeverbund sowie den Anschlussbedingungen finden Sie hier:

ewz.ch/herrliberg